Für die Verrückten

Manchmal erklären wir Menschen voreilig für verrückt. Manchmal aber auch, halten wir das Verrückte für das Normale und drehen uns im Zirkuskarussell der verschrobenen Wahrnehmungen, bis das Karussell zum Stillstand kommt oder die Pferde darauf uns aus dem Sattel werfen. Haben wir verlernt auf die Geister zu hören, die wir selbst gerufen haben? 

Ich mache Yoga aus reiner Vernunft und höre dabei Meditationsmusik aus einem gratis Musikkanal, der mich zwischen herabschauendem Hund und aufschauendem Sattel immer wieder mit Werbeeinschaltungen versorgt. Doch wer tief in sich ruht, wird auch nach dem hundertsten Mal noch keine Mitgliedschaft abschließen, weder bei dem Gratiskanal noch beim angepriesenen Automobildienst. Die Sorgen werden einem auf jeden Fall genommen. Alle wollen nur das Beste für mich. Die Welt ist gut, wenn man seine innere Mitte gefunden hat. Die Einkäufe werden einem sieben Tage die Woche gratis zugestellt, wenn man sich darauf einlässt, damit man in Zukunft mehr Zeit für das Wesentliche hat, zum Beispiel für fernöstliche Turnübungen, womit sich der Kreis wieder schließt. Heute, als ich meine Arme hinter mich und meinen Oberkörper weit nach vorne gestreckt hatte, kam mir das Bild eines Mannes, den ich sehr geliebt hatte und der schon vor mehr als drei Jahrzehnten verstorben war. Ich lächelte ihn an, weil ich mich plötzlich daran erinnerte, dass ich ihn vor ein paar Wochen um etwas gebeten hatte, als ich ins Abendrot blickte und dachte, dass mir nur noch die Geister der Verstorbenen helfen könnten.  Er hatte es mir tatsächlich vom Himmel geworfen, ohne sich dabei zu erkennen zu geben. Und heute erst, habe ich es bemerkt. Das ist das Mysterium des Lebens, für das wir uns immer offen halten dürfen. Das Mysterium der Überraschung. In einer Welt, die versucht, uns alle Schwierigkeiten abzunehmen, um uns im Schlaraffenland der Genusssucht betäubt und benebelt zu halten, fällt es leicht zu vergessen, dass wir nicht dafür geschaffen sind, nur Passagier zu sein. Uns im Kreis drehen zu lassen und dabei von lustigen Gauklern unterhalten zu werden. Der Anblick des „Gump“ als Versinnbildlichung der Gefahr von Selbstwirksamkeit, und kaum ist das Untier wieder weggesperrt, Musik zur Auffrischung der Gemüter und Zuckerwatte. Wer ist verrückter, der Mensch im Käfig seiner Ideale und Visionen oder der, der sich selbstzufrieden in Sicherheit und Berechenbarkeit in Freiheit wähnt? Es verlangt uns eine radikale Offenheit ab, das Anderssein der anderen anzuerkennen, ohne sie gleich für meschugge zu erklären. Ohne gleich mit der Keule der Besserwisserei zuzuschlagen, um unsere eigenen Bilder von der Wirklichkeit an die Wand zu nageln. Manche Menschen glauben, in einer Welt, die nicht mehr lauter nach Veränderung brüllen könnte, auf ihr Recht nach Gewohnheit pochen zu können. Sie weigern sich das Karussell zu verlassen und halten sich an der stetig auf- und abfahrenden Stange fest, die ihnen im Takt der Orgelmusik Veränderung genug abverlangt und die Illusion am Leben hält, eh unterwegs zu sein, im Trab der Vernichtung aller schöpferischen Freiheit. Wer sich nur der Vernunft verschreibt und vergisst, sich dem Unberechenbaren auszusetzen, verliert jede Form von Spontanität und die Fähigkeit, sich selbst auf das zu besinnen, wofür er im Leben steht und wofür es sich zu leben lohnt und vor allem zu sterben. 

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